Prophezeiung eines weiteren chinesischen Nostradamus für dieses Jahr: Das Tui Bei Tu für 2024 (推背图 Tuī bèi tú)
In einem vergangenen Blogartikel habe ich einen Weissagungstext aus dem alten China zum Jahr 2024 vorgestellt: das Mutter-Erde-Orakel (chin. 地母經 dì mŭ jīng). Dies ist jedoch nicht der einzige Prophetie-Text, der im alten China verfasst wurde. Ein weiterer bekannter Text, dem ebenso wie dem Di Mu Jing der Ehrentitel verliehen wurde, von einem "chinesischen Nostradamus" verfasst worden zu sein, ist das Tui Bei Tu (wörtlich "Zurückschiebeskizzen, chin. 推背图 tuī bèi tú). Der Text verdankt seinen Namen den Bildern, die jedem Gedicht zugeordnet sind.
Das Tui Bei Tu stammt aus der Tang-Zeit (618–907) und besteht wie das Di Mu Jing aus 60 Gedichten, die jeweils einer Himmelsstamm-Erdzweig-Konstellation (chin. 甲子 jiăzĭ) aus dem chinesischen Kalender zugeordnet werden. Als Autoren vermutet man Li Chungfeng (chin. 李淳風) und Yuan Tiangang (chin. 袁天罡). Im 17. Jahrhundert fügte Jin Shengtan (chin. 金聖歎, ca. 1610–1661) noch einen Kommentar hinzu.
Ein Text – mehrere Auslegungsarten
Beim Tui Bei Tu ist unklar, auf welche Zeitabschnitte sich die einzelnen Gedichte beziehen. Eine allgemeine Lesung ist, davon auszugehen, jedes Gedicht würde auf ein einschlägiges Ereignis in der chinesischen Geschichte Bezug nehmen. Ist dieses eingetroffen, so steht die Erfüllung des nächsten Gedichts bevor, ähnlich wie bei Nostradamus' Centurien.
Einige Interpreten sind der Ansicht, dass wir vor der Erfüllung von Gedicht Nummer 56 stehen, das ich bereits in einem Blogbeitrag vorgestellt habe.
Aufgrund der JiaZi-Kombination ist es jedoch auch möglich, jedes Gedicht auf das Jahr mit seiner entsprechenden Himmelsstamm-Erdzweig-Kombination zu beziehen. Für das Jahr des Holz-Drachen wäre dies Gedicht Nr. 41, das ich hier vorstelle.
Tui Bei Tu: Gedicht Nr. 41 zum Holz-Drachen (chin. 甲辰 jiăchén)
Der Text und dazugehörige Skizze des Gedichts Nr. 41 im Tui Bei Tu
Pin-Yin-Umschrift von Gedicht Nr. 41:
Chèn yuē:
Tiān dì huì máng cǎomù fánzhí
Yīnyáng fǎn bèi shàng tǔ xià rì
Sòng yuē:
Mào er xū dài xuè wú tóu shǒu nòng qiánkūn hérìxiū
Jiǔshíjiǔ nián cheng dà cuò chēng wáng zhǐ hé zài qín zhōu
Jīn Shèngtàn:
“Cǐ xiàng yī wǔshì wò bīngquán, zhì zhào dì fù tiān fān zhī huò, huò yī bái xìng zhě píng zhī.”
Meine Übersetzung von Gedicht Nr. 41:
Die Prophezeiung sagt:
Himmel und Erde sind düster und blind, die Vegetation vermehrt sich.
Yin und Yang kehren sich um, die Erde ist oben, die Sonne unten.
Die Ode sagt:
Hut muss getragen werden mit Blut und ohne Kopf, die Hand spielt mit Himmel und Erde, wann wird das aufhören?
In 99 Jahren wird ein großer Fehler begangen, um den König auszurufen ist nur die Qin-Provinz geeignet.
Jin Shengtan:
„Diese Erscheinung zeigt einen Krieger, der die Befehlsgewalt ergreift. Er ruft hervor, dass das Land bedeckt und Himmel umkippt durch eine Katastrophe, oder eine Person mit Nachnamen Bai (Weiß) ist derjenige, der eben macht/Gerechtigkeit bringt."
Interpretation von Tui Bei Tu, Nr. 41:
Der Text befasst sich nur mit der Elemente-Kombination des Jahres, das heißt, nur der Jahressäule des Holz-Drachen:
Auf dem Bild zu der Version von Gedicht Nr. 41 bezüglich JiaChen sehen wir einen Mann, der einen Fuß auf einer Kugel stellt. Soll dies vielleicht die Welt oder die Sonne sein, über die er bestimmen will?
Die Prophezeiung lässt sich recht düster an. Er verheißt, dass die Erde düster und blind wird, doch die Pflanzenwelt vermehrt sich.
Yin und Yang kehren sich um. Das bedeutet, die kosmischen Gesetze geraten aus den Fugen. Ist hier vielleicht ein kosmisches Ereignis wie ein Polsprung gemeint, der schon länger in der Wissenschaft diskutiert wird?
Neueren Erkenntnissen zufolge steht zwar kein Polsprung bevor – der letzte fand vor ca. 780.000 Jahren statt. Allerdings ist es möglich, dass es eine sog. Polaritätsexkursion gibt, wie sie vor ca. 42.000 Jahren stattfand. Bei dieser veränderte sich das Erdmagnetfeld für einige hundert Jahre.
Die Verse der Ode klingen grausam. Es ist die Rede von jemandem, der einen Hut trägt ohne Kopf und mit Blut. Außerdem scheint jemand Willkür mit Himmel und Erde zu treiben, worauf wohl auch das beigefügte Bild Bezug nimmt.
Es werden zwei sog. Trigramme genannt, nämlich 乾 qián (Qian), das den Namen Himmel trägt und 坤 kūn (Kun), die Erde. Es sind zwei gegensätzliche Trigramme, die für das ultimative Yang und das ultimative Yin stehen. Das eine besteht aus drei durchgezogenen Yang-Linien und das andere aus drei Yin-Linien, die unterbrochen dargestellt sind.
Die Trigramme Qian und Kun
Die Frage, wann dies aufhört, deutet auf eine unklare Dauer der Vorkommnisse hin. Doch es wird noch ein Datum gegeben: In 99 Jahren soll ein Fehler passieren und es würde nur jemand in der Qin-Provinz (chin. 秦 qín) würdig sein, zu herrschen. Qin war ein Staat in China bis in die Zeit der Streitenden Reiche. Die ihr entstammende Qin-Dynastie begründete das chinesische Kaiserreich. Es war das mächtigste der damaligen Königreiche, das Expansionspolitik betrieb. Im übertragenen Sinne bedeutet dies, dass der Stärkste und Aggressivste die Macht erlangen wird. Dies entspricht völlig den starken Yang-Energien des Jahres und ihrer aggressiven Natur.
Die Schwierigkeit bei den Übersetzungen aus dem Altchinesischen ist die Mehrdeutigkeit der Begriffe und unklare Zeitangaben. Es ist die Rede von 99 Jahren, was meist mit „in 99 Jahren“ übersetzt wird. Allerdings handelt es sich um Verse und da wird auch zuweilen etwas weggelassen, um die Versform zu wahren. Ist es vielleicht das 99. Jahr und bezieht sich somit nicht auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit? Dann wären wir im Jahr 1915, als der 1. Weltkrieg tobte. In China hatte sich 1915 der erste Präsident der Republik China zum Kaiser proklamiert. Dieses dauerte zwar nur wenige Monate an, aber destabilisierte die Republik nachhaltig. Vielleicht sehen wir in diesem Jahr einen ähnlichen Machtmissbrauch in einem der führenden Staaten der Welt, welcher das System durcheinanderbringen wird.
Der Kommentar von Jin Shengtan aus dem 17. Jahrhundert führt weiter aus, dass ein Krieger die Macht übernehmen wird und die Welt in Unordnung bringt. Damit ist angedeutet, dass kein Naturereignis wie ein Polsprung die Welt aus dem Gleichgewicht bringt, sondern dass dies metaphorisch gemeint ist für Dinge, die Menschen tun.
Und es wird ein Mensch mit konkretem Namen genannt: jemand, der den Nachnamen Bai (chin. 白 bái) oder Weiß trägt, der wörtlich übersetzt „eben macht“, d. h. die Dinge wieder gerade biegt. Er soll die Ordnung wiederherstellen. Auch hier wird der Ruf nach einem starken Anführer bzw. Anführerin laut.
Bildquelle zu den Skizzen des Tui Bei Tu